Sonntag, 31. März 2013

Tag0049 - Ich kann die Menschen lesen wie mich selbst [Teil1]





Ich weiß nicht, wie ich es genau bezeichnen soll, doch irgendwie, und ich werde mich Schritt für Schritt durcharbeiten bis zu dem Punkt der Erkenntnis darüber, hatte ich schon immer, seit ich mit genügend Verstand denken kann, die Fähigkeit die Handlungsweisen und Reaktionen der Menschen zu verstehen. Nicht im Sinne von Billigen, sondern ich verstehe worum es geht, die Motive, vor allem die, die eigentlich verborgen sein sollen.

Ich weiß, dass das nichts besonderes ist. Heute weiß ich, dass es eine ganz natürliche Entwicklung ist, eine Funktion des Bewusstseins die gleichzeitig sein Fluch ist. Wir können fast immer hinter die Fassaden der Menschen schauen, hinter die vorgeschobenen Argumente und Rechtfertigungen, hinter die Verhaltensmuster und die angenommenen, internalisierten Dogmen als Lebensprinzipien. Wir können die Ängste und Sorgen, die Befürchtungen und Unsicherheiten erkennen, spüren und verstehen, weil wir Menschen sind, und gleich als Menschen.

Das Problem das wir haben in unserer Welt ist, dass wir uns entwickeln und dass wir erzogen werden in einem ganz bestimmten Glauben, nämlich dem, dass wir abgetrennt und isoliert wären, dass wir in ein System hineinwachsen und uns anpassen müssten, an ein System das unabhängig von uns ist und das unser Lebensraum ist, alternativlos, und wir versuchen aufgrund dieser Lebenslüge uns anzupassen, das Spiel mitzuspielen so gut es eben geht. Doch da ist immer diese innere Unsicherheit, weil wir spüren dass wir unsere Vorstellungen von uns selbst nicht wirklich leben, dass wir auch die angelernten und konditionierten Verhaltensmuster nicht vollständig verinnerlichen, dass wir innerlich verzweifeln aufgrund der heuchlerischen Versuche zu der Rolle zu werden die wir uns selbst zugeteilt haben- Wir beobachten ‚die anderen‘, wir glauben, dass sie das Spiel beherrschen, dass sie nicht einmal denken, dass sie eine Rolle spielen, wir sind zutiefst verunsichert über unser Selbst und unsere Fähigkeiten. Und das ist der Grund, oder einer der Gründe, warum wir trotz unserer Bewusstseinsbegabung und der Fähigkeit zu Vernunft und Einsicht an einem lebensverachtenden System wie dem unseren festhalten. Tiefe, verinnerlichte, unbearbeitete Angst.

Aus dieser Angst und dem Frust über die vermeintliche Unfähigkeit zu einem guten Konformisten zu werden, zu einem Vollwertigen Mitspieler, wachsen natürlich alle erdenklichen Formen der Aggression, der Wut und des Zorns.

Warum aber wagen wir es nicht, oder wenn dann nur unter Umständen die uns selbst erschüttern, die unser Weltbild ins Wanken gebracht oder zum Einsturz gebracht haben, die gesamte Systematik, das Selbstbild und das System der Selbstidentifikation über die Systeme in Frage zu stellen? Weil die  Angst vor Ablehnung, die Angst vor dem Verlust der Gemeinschaft die eigentlich gar nicht existiert unerträglich ist für eine Existenz, die nur über die Werte, die Ideale und Vorstellung eben dieser Gemeinschaftsideologie oder Kultur  identifiziert ist. Und diese Unerträglichkeit rührt aus der Illusionären Natur der grundlegenden Selbstidentifikation als Mensch in Abgetrenntheit und Isolation in geistigen Idealen, Prinzipien und Vorstellungen.

Dabei könnte es ein einfacher Schritt sein sich von dieser Angst zu befreien. Einmal, in einer einzigen selbstbestimmten Entscheidung  für sich selbst geradezustehen und das Spiel offenzulegen, sich selbst zu entblößen, die Maske fallen zu lassen und die ewige Vermutung, dass es vielen anderen ebenso ergeht, dass diese Unsicherheit weit verbreitet ist, dass wir alle nur versuchen irgendwie durchzukommen und für uns das scheinbar beste dabei herauszuholen, in ständiger Angst. Sicher gibt es solche und solche, es gibt Persönlichkeiten die so sehr angepasst, abgelenkt und beschäftigt sind, dass sie nicht einmal darüber nachdenken was und warum es in ihnen brodelt, warum sie voller Argwohn, Misstrauen und Zorn stecken, warum sie sich nicht öffnen können, warum ihre Beziehungen nicht funktionieren oder warum sie nie wirklich zufrieden sind. Doch das System selbsthält auch für diese den Moment des Erwachens bereit, dann eben gezwungenermaßen und nicht selbstbestimmt.

Ich konnte nie etwas damit anfangen, dass ich das Verhalten der Menschen ‚verstand‘, und dass ich es vor allem deshalb in so vielen Fällen abstoßend und verachtenswert fand. Ich habe selbst nicht wirklich verstanden was ich es war, und ich habe viel zu oft und zu lange an mir selbst und meiner Sicht gezweifelt. Dabei hätte ich nur auf mich selbst und in mich selbst schauen müssen. Ich hätte mich mit mir selbst befassen müssen so wie mit allen anderen, mit den Verhaltensmustern und Motiven , den selbstsüchtigen Interessen und den ängstlichen Aggressionen die ich in den Verhaltensweisen anderer zu erkennen glaubte, die ich aber im Grunde aus mir selbst heraus kannte. Darin hätte ich schon früh die Einheit und Gleichheit erkennen können.

Es ist lange kein Geheimnis mehr, dass Menschen und Unternehmen genau diese Einsichten in die Ängste und Sorgen, die Handlungsmotivationen der Menschen für ihre ganz persönlichen Zwecke ausnutzen. Und bis zu einem gewissen Grad machen wir das alle im alltäglichen Zusammenleben, weil die gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen eben dieses Prinzip der eigennützigen, misstrauischen Grundhaltung in sich tragen. Mir ging dieses Verhalten immer gegen den Strich und es hat lange gedauert bis ich verstanden hatte, dass ich mich dadurch versucht habe ‚rein zu waschen‘, mich herauszuhalten aus diesen Machenschaften, und dass ich mich dadurch in überheblicher Weise eingebildet von allem getrennt habe. Doch diese Trennung ist eine Illusion und im Grunde führt sie zu völliger Selbstaufgabe, denn man verliert den Bezug zu den Systemischen Strukturen die notwendig geworden sind um sich eine Existenz zu sichern, und zum anderen verkennt man, dass man selbst, dass wir alle als Teilnehmer das System konstituieren, also sind, dass wir alle dafür verantwortlich sind, dass wir ein Erziehungs- und Ausbildungssystem, eine Kultur und Vorstellungen vertreten und an unsere Kinder weitergeben, die alle auf Angst und Verunsicherung, auf gegenseitiger Ausbeutung und Übervorteilung basieren.
Wir können uns und alle Menschen verstehen lernen, indem wir jeder für sich, in einem eigenen, selbstgewollten Prozess uns selbst verstehen lernen, indem wir uns selbstehrlich vor uns selbst offenbaren, und darin liegt der Schlüssel zur Erkenntnis der grundlegenden Wahrheit, der Einheit und Gleichheit des Lebens und aus dieser Erkenntnis  resultiert die Freiheit von Angst.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 31.03. - 01.04.2013





Samstag, 30. März 2013

Tag0048 - Perfektionistischer Zwang und die Angst dahinter / Teil 2





Selbstkorrektur und Selbstbestimmung zu Tag0046

Ich bestimme mich selbst als Mensch, als das Leben und als die Person die ich geworden bin dazu, mich in Selbstehrlicher Konfrontation meinen Ängsten zu stellen, ihre Entstehung zu verstehen und zurückzuverfolgen worin sie ihren Ursprung haben und durch welche Einflüsse, Urteile und Umstände ich sie immer weiter in mir kultiviert und am Leben gehalten habe, warum ich meine Ängste gelebt habe und mich von ihnen habe bestimmen lassen.

Ich bestimme mich selbst als Mensch und als das Leben zu der Selbstverpflichtung mich in allen Bereichen der Selbstbeschränkung durch Angst, in denen die Motivation einen eigenverantwortlichen und dem Wohl des Lebens dienenden  Ursprung hat eigenständig, durch das Atmen und die Vergegenwärtigung meiner Existenz als Leben, gleich und eins mit allem Leben in den Moment des Seins zurückzubringen, die Angst zu konfrontieren indem ich eine eigenständig selbstbestimmte Entscheidung treffe  durch die Angst zu gehen, mich ihr zu stellen und sie in diesem Prozess kennen und verstehen zu lernen, anstatt sie zu vermeiden, zu unterdrücken und unbeaufsichtigt und unkontrolliert meine Person, meine Emotionen und meine Entscheidungen bestimmen zu lassen.

Ich bestimme mich selbst als Mensch und als das Leben den körperlichen Ausdruck in jeder Betätigung als Selbst-Entwicklung als das physische Leben das ich bin zu sehen und mich von der vollständigen Interpretation aller Verhaltens und Aktionsmuster durch den programmierten, konditionierten und kulturell geprägten Geist/Bewusstsein zu befreien, indem ich mich allen Ängsten die als Signale der Übertretungen der Selbstbeschränkung dienen zu stellen und sie zu transformieren in Selbstbestimmung und als ein lebendiges Beispiel für die Möglichkeit der Selbstbefreiung als Mensch, in vernunftbasierter und eigenverantwortlicher Weise allem Leben gegenüber.

Ich bestimme mich selbst und korrigiere mich seöbst als Mensch und als das Leben zu selbstehrlicher Analyse meiner Reaktionen und konditionierten Verhaltensmuster und dazu, die Motive meiner Entscheidungen darauf zu prüfen, ob sie dem Selbstinteresse als der Person die ich in meinen Gedanken und Erinnerungen geworden bin, als dem Konstrukt meiner Werturteile, Erfahrungen und emotionalen Verknüpfungen folgen, oder ob sie das Beste Resultat für alle, für alle Beteiligten und alles Leben als erstes Prinzip und Leitmotiv haben und mich dahingehend selbstbestimmt und eigenverantwortlich als Mensch, als das Leben zu befreien und zu bestimmen, ausgerichtet an den Prinzipien des Wohls aller, dem Wohl allen Lebens.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 30.03.2013





Freitag, 29. März 2013

Tag0047 - Mentale Simulationen und das Aufschieben von Entscheidungen





Ich habe festgestellt, nachdem ich lange Jahre meines Lebens immer versucht habe meine Probleme durch Aufschieben und Vermeiden zu lösen und damit so ziemlich alles vor die Wand gefahren hatte was nur ging, dass ich immer noch Tendenzen habe, bestimmte „unangenehme“ Entscheidungen vor mir her zu schieben, insbesondere wenn diese Entscheidungen nicht nur für mich persönlich Veränderungen mit sich bringen, sondern auch für andere Menschen. Es ist fast so, als wollte ich mein ganzes Leben und meine Entscheidungen an den Wünschen und Vorlieben meines Umfeldes, also der Menschen die mit meinem Leben in irgend einer Weise direkt vernetzt sind, ausrichten und mich dadurch der eigenen Selbstbestimmung und der Verantwortung die damit einhergeht entziehen. Natürlich ist es absolut notwendig in die eigenen Entscheidungen die Konsequenzen und Auswirkungen die diese Wendungen für andere Menschen haben werden mit in Betracht zu ziehen. Das ist ein Teil der Verantwortlichkeit als Mensch, als Leben in einer Gemeinschaft. Doch in diesem Fall dienen die Bedenken und Hinderungen eine klare Entscheidung zu treffen als Selbstrechtfertigung für die Angst vor der Verantwortung, aus Angst für die Konsequnezen dieser Entscheidung gerade zu stehen. Und so macht legt man sich in Gedanken Gründe und Motive zurecht, die man vor sich selbst mit dem Schutz der Bedürfnisse und Interessen der anderen rechtfertigt, die aber im Grunde nur eine Aufschiebung der Entscheidung bewirken sollen. Und in letzter Konsequenz offenbart dieses Verhaltensmuster den eindeutig egoistischen Kern, der die eigenen Interesen, die eigene Bequemlichkeit und die eigene Feigheit umschließt und schützen soll, alles unter dem Vorwand des Mitgefühls. Das ist schon faszinierend, dass man sich in gedanklicher Diskussion mit sich selbst so sehr vertiefen und ablenken kann, dass man diese offenbare Selbsttäuschung nicht bemerkt, bzw. nicht bemerken muss.

Die mentalen Simulationen sind Wahrscheinlichkeiten die man sich als Konsequenzen der Entscheidung vorstellt. Das tückische an diesen Simulationen ist, dass man sie leicht manipulieren kann, dass man sie in bestimmte Richtungen lenken kann und das ‚befürchtete‘ Ergebnis generiert, dass es einem ermöglicht eine weitere Aufschiebung der Entscheidung scheinbar zu rechtfertigen. Die mentalen oder auch geistigen Simulationen und Zukunftsprojektionen sind nichts weiter als Vorstellungen, gedankliche, künstliche Realitäten. Sie haben nichts mit den tatsächlichen Geschehnissen zu tun, sie spiegeln niemals die Wirklichkeit auch nur annähernd wieder. Und dennoch sind wir als Menschen so oft und so intensiv mit unseren Zukunftsprojektionen, Selbstrechtfertigungen und gedanklich verursachten Ängsten beschäftigt, dass wir die meiste Zeit überhaupt nicht leben, nicht da sind, sondern den Körper quasi programmiert ablaufen lassen, während wir uns in unserem Geist in Vorstellungswelten bewegen, ohne Sinn, ohne Nutzen, nur die Angst verstärkend und generierend die uns immer mehr von der spontanen Entscheidung, von dem ‚Tun‘ aus dem lebendigen Moment heraus abhält.

Dabei bedeutet das direkte, bewusste Tun als Entscheidung keineswegs Verantwortungslosigkeit, sondern im Gegenteil, in der direkten, selbstbestimmten Handlung liegt die Hingabe an die Entscheidung und damit die selbstehrliche Verpflichtung ganz selbstverständlich für die Entscheidung gerade zu stehen ganz egal wie der Ausgang auch sein wird. Denn abzusehen ist er zu keinem Zeitpunkt, lediglich die offensichtlichen Konsequenzen beispielsweise einer missbräuchlichen Entscheidung wie jemanden auszunutzen, sich einen Vorteil aus der Notlage eines anderen zu verschaffen usw., die Konsequenzen als das, was ihre Natur ist, nicht die detaillierte Geschichte. Aber wenn ich selbstbestimmt gerade stehe für meine Entscheidungen, dann bin ich selbst die Entscheidung und gleichermaßen stehe ich für die Konsequenzen. Das ist wahrhaftige Verantwortung, das ist Vernunftgemäßes Leben, dem gesunden Menschenverstand folgend. Kein Selbstbetrug, keine Verschleierung versteckter Interessen und Motive, keine Selbstrechtfertigungsgründe für Aufschiebungen.  

Die Entscheidung und die Konsequenzen der aus ihr resultierenden Handlungen sind in keinem Moment voneinander getrennt. Es ist ein und derselbe Kontext, ein und dieselbe Handlungskette. Das ist der Punkt den man sich vergegenwärtigen muss. Keine Trennung, keine Isolation, keine Freiheit von Verantwortung und Beteiligung. Die einzige Freiheit die zu erlangen ist, ist die Erkenntnis der eigenen Selbstbestimmung als das Leben, als die Existenz, als die Konsequenz. Die Fähigkeit die Programme des Bewusstseins zu stoppen, zu dekonstruieren und sich selbst neu zu bestimmen.


Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, Entscheidungen in meinem Leben aufgeschoben und gehofft zu haben, ich könne der Verantwortung für meinen Lebensweg und meine Konsequenzen als die Effekte meiner Handlungen entgehen indem ich mich für das aufschiebende Verhalten unter dem Vorwand der Besorgnis um das Wohl anderer  vor mir selbst gerechtfertigt habe und trotz meines Wissens um die trügerische Legitimation dieser Argumentation an dem Aufschieben festgehalten habe und es dadurch erlaubt und zugelassen habe, dass die Konsequenzen meiner Entscheidung durch Verweigerung sowohl für mich und meine Selbstbestimmtheit, als auch in vielen Fällen für andere beteiligte vermeidbar schädigend  waren.

Ich bestimme mich selbst als Mensch und als das Leben, im Moment des Versuchs die Aufschiebungstaktig meines Bewusstseins, meines Denkens starten zu lassen, mich den Programmen der selbstrechtfertigenden Entschuldigungen und dem Vortäuschen falscher Motive hinzugeben, mich selbst zu stoppen, zu atmen, mich hier in den Moment zurückzubringen und meinen Ängsten gegenüberzutreten, mir kla zu machen, dass die Angst vor der Lebensverantwortung eine konditionierte, antrainierte Angst und nicht real ist, dass es in den Konsequenzen einer selbstbestimmt, am Leben ausgerichteten Entscheidung die das Beste für alle Beteiligten berücksichtigt nichts zu befürchten gibt, außer für die Person als Ego, für das Selbstinteresse der Persönlichkeit als Geschichte und dass diese irrelevant angesichts der selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Direktive des Lebens selbst ist.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 29.03.2013





Donnerstag, 28. März 2013

Tag0046 - Perfektionistischer Zwang und die Angst dahinter / Teil 1





Was ist der Grund für innere Widerstände wenn es um das Brechen mit Konventionen geht? Warum habe ich ein Problem damit, mich mit einem ungewöhnlichen, auffallenden Verhalten in der Öffentlichkeit zu zeigen? Warum macht es mir etwas aus, eventuellem Spott ausgesetzt zu sein? Warum beschäftigt es mich, was andere von mir denken?

Ich habe eigentlich gedacht, dass ich mich nicht mehr um solche Dinge und Gedanken scheren würde, dass ich frei sei von den Sorgen um das Bild das sich andere von mir machen, ob sie positiv oder negativ von mir denken. Und in meinem Alltagsleben so wie es generell abläuft scheint das auch so zu sein. Ich bin fast nie mit Gedanken darüber beschäftigt, was andere über mich und mein Verhalten vielleicht denken könnten. Dann allerdings, wenn ich etwas ‚außergewöhnliches‘, etwas neues vorhabe, wenn ich etwas neues lerne beispielsweise, dann wage ich es zunächst nicht, mich öffentlich damit zu zeigen, vor allem im Umkreis meiner Nachbarschaft, dort wo ich den Menschen öfter begegne. Als ich vor einigen Jahren zum Beispiel damit angefangen hatte Laufen zu trainieren, habe ich mich lieber dazu gezwungen morgens um vier aufzustehen und wenn möglich noch in der Dunkelheit unterwegs zu sein, um möglichst nicht gesehen zu werden. Dann habe ich zusätzlich mit unterschiedlichen Körpertrainings und Atemtechniken angefangen, wie Qi Gong und Tai Chi, und an manchen Tagen im Sommer habe ich in den Garten geschaut und gedacht wie klasse es wäre, an der frischen Luft in der Morgensonne auf der Wiese meine Übungen zu machen. Aber ich habe es nicht getan, weil die Nachbarn mich dabei hätten sehen können. Jetzt habe ich seit einiger Zeit ein Longboard, und ich übe damit auf abgelegenen Strecken, es macht mir unheimlich Spaß und im Grunde könnte ich auch direkt vor unserem Haus losfahren, aber ich tue es nicht, weil ich Unsicher bin. Ich bin offenbar Unsicher über mein Wirken, über das, was ich repräsentiere und letztlich das, was andere über mich denken könnten, dass ich mich „lächerlich“ machen könnte oder ähnliches. Obwohl ich rein Verstandesmäßig überhaupt nicht reagiere, wenn ich darüber nachdenke ist es mir völlig egal, es ist für mich rein ‚intellektuell‘ überhaupt nicht von Bedeutung was andere über mich denken. Dennoch, wenn es zu tatsächlichen Taten, zur Aktion kommt verspüre ich Hemmungen und verbaue mir das Umsetzen meiner Wünsche.

Natürlich ist es einerseits sehr anmaßend und ein Gedanke aus Selbstüberschätzung davon auszugehen, dass andere Menschen nichts besseres zu tun hätten als gerade mich zu beobachten oder sich die Mühe zu machen überhaupt über mich nachzudenken.  Andererseits ist es natürlich so, dass man im nachbarschaftlichen Zusammenleben und generell in ländlicheren Gegenden durchaus dann und wann „im Gespräch“ ist. Die Frage ist, warum das von Bedeutung sein soll und was tatsächlich die Angst und die Sorge Verursacht, denn das Gerede oder die Gedanken anderer allein können einem ja nichts anhaben.

Es liegt also an mir selbst, wie erwartet und wie immer, um ganz korrekt und konsequent zu sein. Die Probleme die zu meiner freiwilligen Selbstbeschränkung in dem Bereich der persönlich-körperlichen Bewegungsfreiheit führen, müssen in meiner Persönlichkeitsstruktur angelegt und kultiviert worden sein und sie lassen sich eben auch vor allem auf den körperlich-bewegungstechnischen Aspekt meines Ausdrucks und meines Daseins beschränken. Es liegt nahe hier zuerst in der Entwicklungsgeschichte meines Körpergefühls und meines diesbezüglichen  Selbstvertrauens nachzusehen. Und diese war durchaus katastrophal. Ich habe wenige Erinnerungen an meine Kindheit und auch mit meiner frühen Jugend beschäftige ich mich fast überhaupt nicht mehr. Aber wenn ich eines weiß, dann dass ich niemals als sportlich galt und ich mich selbst auch nicht als Bewegungstalent gesehen habe. Zum einen war ich immer schon übergewichtig, und zum anderen habe ich nie den Bezug zu meinem Körper finden können. Ich fand weder in den schulischen Spotunterrichten, noch in den Vereinen eine Anleitung zum Sport die mir mein Körpergefühl irgendwie hätte verbessern können.  Ich hatte zwar gute Anlagen, eine starke Muskulatur und Knochenbau, jedoch konnte ich meine körperliche Kraft nie gezielt oder dosiert genug einsetzen.

Dies hing vor allem  mit meiner eigenen Selbstwahrnehmung, meinem mangelnden Selbstvertrauen und den daraus resultierenden Hemmungen und Ängsten zusammen. Ich sah mich in meinem Geist, meinem Bewusstsein getrennt von meinem Körper als Opfer der aggressiv-beurteilenden Einstellung anderer. Eine Illusion, aber eine Konsequenz einer langjährigen Konditionierung und Prägung. Einerseits spielt für dieses mangelnde Selbstvertrauen und die Unsicherheiten meiner Selbstwahrnehmung, vor allem aber die Ängste über das Bild das andere von mir haben könnten  meine familiäre Situation eine Rolle, in der ich als Scheidungskind zwar durchaus eine schöne Kindheit erleben durfte, allerdings vor allem meinem Vater gegenüber immer in der Not war, ihm gefallen zu wollen, da ich stetig das Gefühl hatte und die Befürchtung verspürte er könne sich von mir abwenden oder ich wäre ihm nicht gut genug, nicht interessant genug. Dann hatte ich den Verzicht auf meine Mutter zu verarbeiten und in dem Familienumfeld in dem ich dann hauptsächlich aufwuchs, meiner Oma, meiner Tante, Onkel und später meinem Cousin, habe ich ebenfalls ein grundlegendes Empfinden gehabt nicht wirklich dazu zu gehören, zwar gemocht zu werden, aber dennoch eine Last zu sein, geduldet aufgrund moralischer Verpflichtung. Ich weiß, dass ich damit wahrscheinlich vor allem meiner Oma unrecht tue, da sie sich aufopfernd und sehr hingebungsvoll um mich bemüht hat, aber im Bewusstsein und Unterbewusstsein eines Kindes werden noch subtilere Zeichen wahrgenommen und auch verarbeitet,  alltägliche, kleine, scheinbar unbedeutende Dinge.

Andererseits ist es die grundlegende Akzeptanz der Gesellschaft, der Menschen, ihre Bewußtseinsentwicklung und Selbstwahrnehmung als eine Ideologie einer abgetrennten, isolierten Existenz im Geist oder im Bildhaften Sinne im Kopf kultiviert zu haben. Die Isolation einer Illusion von sich selbst, die abhängig ist von emotionalen Reaktionen, der Befriedigung der geistig programmierten Erwartungen und der Sinnesbedürfnisse eines virtuellen Vorstellungswesens, einer einBILDung des Selbst. In dieser Verlorenheit in einer Geschichte und der Interpretationsfilter ist man anfällig für unzählige Unwägbarkeiten, Missverständnisse, Fehlentwicklungen und falsche Einschätzungen, vor allem deshalb, weil niemand wirklich fähig, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst genug zu sein scheint, um einem heranwachsenden Menschen den Umgang mit der eigenen Bewußtseinsbefähigung beizubringen und ihn anzuleiten.

Aus dieser Verunsicherung hat sich in der – wenn auch späten – Entwicklung meiner Fähigkeiten eine Erwartung hoher Perfektion und großer Ansprüche an mich selbst entwickelt. Aber offenbar nicht nur um mich selbst zu der bestmöglichen Leistung anzuspornen und mein Potential auch sinnvoll und Vernünftig einzusetzen, sondern vor allem um mich auch ‚sehen lassen‘ zu können, also eine von mir selbst projizierte Erwartung anderer, um mich nicht lächerlich zu machen, nicht verspottet zu werden, bzw. vor allem um mich angenommen zu fühlen und gemocht zu werden. Das führt so weit, dass ich mich eher überhaupt nicht betätige, egal um was es sich gerade handelt, als mich diesem Risiko der Ablehnung auszusetzen.

All das findet in meinem Bewußtsein statt, in meiner Gedankenwelt, den emotionalen Verknüpfungen darin, den automatisierten Urteilsprogrammen, ohne dass ich selbst die Bestimmung darüber hätte.


Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, dass meine unbewussten und bewussten Ängste und Befürchtungen mein Leben und meine Enscheidungen bestimmen, mich in meinem körperlichen Ausdruck und der Entwicklung meiner Fähigkeiten einschränken, weil ich mich den Programmen der erlernten Minderwertigkeitsgefühle und der eingebildeten Abhängigkeit von Anerkennung und Bestätigung nicht in bedingungsloser Selbstehrlichkeit eigenverantwortlich gestellt habe.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, aufgrund meiner selbst erlaubten und akzeptierten Blockaden meines Selbstausdrucks mit Frust und schlechter Stimmung zu reagieren und mich anstatt mich selbstbestimmt den Ursachen und meinen inneren Unehrlichkeiten mir selbst gegenüber in allen Punkten der Entwicklung dieser künstlichen Denkmuster zu stellen in selbstmitleidigen Verhaltensmustern mit Schlechter Laune, Trotzigkeit und selbstzerstörerischem Verhalten zu verlieren.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe, aufgrund der unterschwelligen Suche nach Bestätigung und Anerkennung  dermaßen hohe Erwartungen an mich selbst zu stellen, dass ich mir egal in welchem Bereich der körperlichen Betätigung die Freude und den lebendigen Moment der Bewegung, die ursprüngliche Motivation der lebendigen Bewegung als das Selbst verschleiert und verhindert habe, um eine entweder utopische oder in weiter Ferne liegende Perfektion zu erreichen, die mir die Anerkennung anderer sichern könnte.

Ich vergebe mir selbst, dass ich es mir erlaubt und es zugelassen habe zu glauben was andere Menschen von mir denken könnten sei wichtig für mich oder könnte in irgend einer Weise einen Einfluss auf mich haben, da der einzige Einfluss auf mich, schadhaft oder nicht, der durch Gedanken und Worte verursacht werden kann, mein eigener ist.

Selbstbestimmung und Selbstkorrigierendes Schreiben folgen im zweiten Teil.

Bastian Neumann / Ramstein / Deutschland / 28.03.2013